Nur der Mensch konnte sie dorthin getragen haben!

"Da – es war am 21. Februar 1904, als wir mitten in einem dreieinhalb Meter tiefen ‹Loch› bei der Hebung eines Höhlenbärenschädels sassen –, geschah das uns in höchste Aufregung und Freude versetzende Ereignis: Mit dem einzigen Ruck des Zieheisens kamen aus dem den Höhlenbärenschädel umgebenden Lehm plötzlich drei ganz merkwürdige Gesteinsstücke heraus, von ganz anderer Beschaffenheit als die Kalksteinbruchstücke der Höhle. Nur der Mensch konnte sie dorthin getragen haben!"

Emil Bächler und Otto Köberle entdecken Werkzeuge aus der Steinzeit

Es waren dem Wildkirchli-Gestein völlig fremde Quarzsteine aus dem gut 300 Meter tiefer gelegenen Weissbachtal, die Emil Bächler und sein Gehilfe Otto Köberle fanden. Dank ihren guten Augen und ihrem Fachwissen war damit das Wildkirchli auch als Wohn- und Unterkunftsort des Altsteinzeitmenschen erwiesen. Es war der sensationelle erste Beweis, dass vor über 30 000 Jahren Menschen in dieser Höhe in den nördlichen Voralpen lebten. Eine Erkenntnis, die die Wissenschaft nachhaltig beeinflusste.
Bitte Kistendeckel schliessen.

Klopfstein
Mit Klopfsteinen konnten scharfkantige Abschläge von Silexknollen abgeschlagen werden.

Speerspitze
Spitzförmiger Abschlag, die Kanten sind wellenschliffartig bearbeitet. Diese Objekte wurden als Speer- oder Lanzenbewehrungen eingesetzt, grössere Klingen auch als Fellschaber.

Abschlag
Mit einem Klopfstein von einer Feuersteinknolle abgespaltener Abschlag. Die Kanten sind scharf und konnten beispielsweise zum Zerlegen von Beutetieren benutzt werden.

Kratzer
Kratzer wurden zum Reinigen von Rohhaut, aber auch zum Glätten von Hölzern gebraucht.

Rohmaterial: Radiolarit
Die originalen Steinwerkzeuge wurden hauptsächlich aus Ölquarzit und Radiolarit hergestellt.

Wo wurde gegraben?

Der Grabungsplan von Emil Bächler. Menschliche Spuren beschränkten sich auf die vorderen Höhlenteile, in der Altarhöhle mehr als in der Gasthaus-Höhle. Zu beachten ist auch die Einzeichnung des «prähistorischen Arbeitstisches» in der Altarhöhle.

Bitte Schublade schliessen.

Bärenkult im Wildkirchli?

Der Mensch als Höhlenbärjäger. Emil Bächler fand Knochen, die er als von Menschenhand bearbeitete Werkzeuge betrachtete. Dies und die Tatsache, dass Spuren von Menschen und Höhlenbären in denselben Erdschichten lagen, verleiteten ihn zur Annahme, dass die Menschen Höhlenbären erlegt haben müssen. Ein Bild des Steinzeitmenschen, das in der Wissenschaft damals weit verbreitet war.

Doch Emil Bächler ging noch weiter: Zwischen 1917 und 1923 fand er im Vättiser Drachenloch aufgeschichtete Knochen und unversehrte Bärenschädel. Zum Teil waren diese sorgfältig in Steinnischen oder zwischen Steinplatten – Bächler nannte sie Schädelsteinkisten – platziert und einheitlich ausgerichtet. Er interpretierte diese Funde als Überreste menschlich-kultischer Handlungen, einer Huldigung des Höhlenbären oder einer Opferung. Über die sachliche Archäologie hinaus formulierte er mittels ethnografischen Vergleichen und religionsphilosophischer Überlegungen seine Theorie zum Bärenkult.

Die Theorie sorgte für einen jahrelangen Disput in der Wissenschaft, bis hin zu persönlichen Anfeindungen Bächlers. Emil Bächler blieb aber zeitlebens bei seiner Interpretation.

Schmids Bärenkult-widerlegung. Bei den Grabungen 1958/59 bestätigte Elisabeth Schmid Emil Bächlers Funde grundsätzlich. Aufgrund weiterentwickelter Forschungsmethoden und neuer Erkenntnisse in der Wissenschaft kam sie jedoch zum Schluss, dass sich Mensch und Bär nicht oft begegnet sind. Die Bären nutzten die Höhlen im Winter für ihre Ruhe, die Menschen im Sommer als Raststätte. Zudem taugten die Waffen der Steinzeitmenschen nicht für die Jagd auf den grossen Höhlenbären. Elisabeth Schmid identifizierte auch die Bearbeitungsspuren an den vermeintlichen Knochenwerkzeugen als natürliche Abwitterung.

Damit war die Bärenkult-Theorie endgültig widerlegt.

Vorstellung Steinzeitlicher Idylle. Der Steinzeitmensch wurde 1908 im Gedenkblatt zur Erinnerung an die Wildkirchli-Exkursion der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte noch als Bärenjäger dargestellt. (Gestaltung durch den appenzellischen Kunstmaler Carl August Liner)

 

«prähistorischer arbeitstisch », opferplatz oder einfach nur ein stein? Bächler interpretierte den Steinquader in der Altarhöhle als Arbeitstisch der Neandertaler, zog ihn im Rahmen seiner Bärenkult- Theorie aber auch als Opferplatz in Betracht.

Bitte Schublade schliessen.